Zofinger Tagblatt Mittwoch, 26. September 2018
Im Spannungsfeld von Liebe und Hass Zum Artikelverzeichnis

Ballade vom traurigen Café
Die «Ballade vom traurigen Café» erzählten mit Worten und Musik (von links): Joe Fenner (Lymon), Cornelia Montani (Amelia), Daniel Schneider (Besserwisser) und Kristian Trafelet (Marvin Macy).
(Foto kbb)

Die Kleine Bühne ermöglichte den Einblick in die «Ballade vom traurigen Café».
Die Umsetzung der gleichnamigen Novelle der amerikanischen Schriftstellerin Carson McCullers sei kein heiteres Stück, steht im Programm. Die Mundartfassung von Cornelia Montani und Joe Fenner macht daraus eher einen Krimi mit schwarzem Humor.
Anfänglich herrschte Finsternis und Stille auf der Bühne. Vereinzelt waren pfeifende Töne wie Stossseufzer aus einer Mundharmonika zu hören, ergänzt durch kurze Einlagen aus Klarinette und Gitarre, unverkennbar im drängenden Rhythmus des Blues. Und schon ist die Einsamkeit und drückende Hitze zu spüren. Die vier auf alten Kisten und rostigen Tonnen sitzenden Personen in Kleidern der amerikanischen Südstaatenfarmer beginnen zu sprechen. Sie erzählen die traurige Geschichte von Miss Amelia und beginnen dabei mit dem Schluss. Die Fenster ihres Hauses sind mit Brettern vernagelt. Nur wenn die Hitze zu gross wird, öffnet sich ein Fenster. Im Verlauf der pausenlosen Aufführung entsteht eine Art musikalisches Erzähltheater, eine Mischung aus Erzählung, Spiel und Musik, alles in hoher Qualität und lückenloser Inszenierung.
Kampf um Liebe und Vertrauen
Schauplatz ist eine heruntergekommene, trostlose Kleinstadt im tiefsten Süden der USA mit staubigen Häusern, einer Baumwollfabrik und einer unbedeutenden Mainstreet. An dieser liegt auch der Store von Miss Amelia Evans (Cornelia Montani), eine starke und sehr selbstständige Frau. Das Haus mit dem Laden hat sie von ihrem Vater geerbt, dazu eine Whiskybrennerei. Sie wird geachtet, obwohl der Umgang mit Menschen nicht ihre Stärke ist. Das ändert, als eines Tages ein buckliger Mann (Joe Fenner) in der Stadt auftaucht und behauptet, ihr Vetter Lymon zu sein. Sie nimmt ihn bei sich auf, bewirtet ihn und beginnt, sich zu wandeln. War es früher verboten, im Laden Whisky zu trinken, stehen nun plötzlich Tische bereit. Sie bietet günstiges Essen an und wird immer umgänglicher. So kommt zum Laden ein Café hinzu, das bald zum Treffpunkt der Bevölkerung wird, die sich wundert über die Veränderung von Miss Amelia. Es gibt nämlich in ihrem Leben einen wunden Punkt, der immer noch an ihr haftet, alle im Ort ausser Lymon kennen aber nicht darüber sprechen: Ihre Heirat mit dem Tunichtgut Marvin Macy vor einigen Jahren. Sie hat ihn in der Hochzeitsnacht dermassen gedemütigt, dass er nach zehn Tagen davonläuft, nicht ohne anzukündigen, er werde zurückzukehren und sich zu rächen. Die Tragik: Zum ersten Mal hat es ein Mann ernst gemeint mit der Liebe – die Abweisung treibt ihn zurück in eine unsichere, schliesslich kriminelle Existenz. Amelia erfährt eine ähnliche seelische Grausamkeit: Ihr missgestalteter Vetter, den sie umsorgt und umhegt und der ihr geholfen hat, das Café in Schwung zu bringen, schlägt sich auf die Seite von Marvin Macy, der nach sieben Jahren Zuchthaus in seine Heimatstadt zurückgekehrt ist. Vetter Lymon ist fasziniert von ihm. Unterdessen wächst der Hass zwischen Miss Amelia und Marvin Macy von Tag zu Tag und mündet schliesslich in einem handfesten Showdown der beiden mit einem Ringkampf nach Westernmanier. Amelia verliert, Lymon wendet sich von ihr ab und sympathisiert mit Marvin Macy. Zusammen verlassen die beiden die Stadt, nicht ohne zuvor noch das Café und die Whiskybrennerei verwüstet zu haben. Miss Amelia zieht sich zurück, schliesst das Café und den Laden und vernagelt das Haus.
Berührende Einlagen
Das Stück lebt von den schlagfertigen Dialogen, von Rede und Gegenrede und davon, wie schrittweise unangenehme Wahrheiten und Verhaltensmuster entblösst werden. Gestik und Mimik werden sparsam, aber umso treffsicherer eingesetzt.
Eine tragende Rolle spielen die eingestreuten Musikbeispiele. Sie malen nicht bloss die jeweils zu zutreffenden Stimmungsbilder aus, sondern auch die typische Mentalität in den amerikanischen Südstaaten. Das «Musikalische Erzähltheater» wurde seinem Namen in jeder Beziehung gerecht. Die Tragik der Figuren und der Handlung gingen unter die Haut.
KURT BUCHMÜLLER



Kurier Dietlikon Freitag, 13. April 2018
Spannender und unterhaltsamer als ein Tatort
im Fernsehen
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Musikalisches Erzähltheater im Dietliker Kulturtreff
Drei Schauspieler, die auch Musiker sind, ein schauspielernder Musiker und eine spannende Story ergeben einen Theaterabend, den man nicht so schnell vergisst wie einen Tatortkrimi. So geschehen am vergangenen Freitag und Samstag in Dietlikon.

Ballade vom traurigen Café
Die Männer der Stadt als Voyeure anlässlich der Hochzeitsnacht von Miss Amelia und Marvin Macy (von links):
Joe Fenner, Daniel Schneider und Kristian Trafelet. Cornelia Montani untermalt die groteske Szene musikalisch.
(Foto rm)

Das war keine Kleinkunst, das war grosses Theater, was am vergangenen Wochenende im Dietliker Kulturtreff zu sehen war. Diese Feststellung ist keineswegs despektierlich gemeint gegenüber der Kleinkunst, die im Untergeschoss des Alexander Bertea-Dorftreffs seit bald zehn Jahren ihren Platz hat. Damit soll vielmehr die Produktion «Die Ballade vom traurigen Café» ins rechte Licht gerückt werden.
Ein literarisches Meisterwerk
Das Stück ist die dramatische Umsetzung der gleichnamigen Novelle der amerikanischen Schriftstellerin Carson McCullers durch Edward Albee. In Dietlikon kam die Mundartfassung von Cornelia Montani und Joe Fenner zur Aufführung. Montani und Fenner waren auch die Protagonisten des Stücks. Ihnen zur Seite standen Kristian Trafelet und Daniel Schneider, der mit seiner Klarinette für die stimmungsvolle, mal melancholische, mal beschwingte musikalische Umrahmung des Stücks sorgte. Dabei wurde er von Montani an der Mundharmonika, Trafelet an der Gitarre und Fenner an der Melodica unterstützt. Auch mit mehrstimmigem Gesang wussten das Quartett zu überzeugen.
«Die Ballade vom traurigen Café» wurde angekündigt als musikalisches Erzähltheater, eine Mischung aus Erzählung, Spiel und Musik.
Die Darsteller wirkten sowohl als Erzähler als auch als handelnde Figuren. Schauplatz der Geschichte ist eine heruntergekommene Kleinstadt im Süden der USA. Bei der emotionslosen Beschreibung der Stadt mit ihrer unbedeutenden Hauptstrasse, der Baumwollfabrik und den staubigen Häusern, über denen eine unerträgliche Hitze lastet, liess die Szenerie vor dem geistigen Auge erscheinen als sähe man einen Film.
Im Mittelpunkt des Geschehens steht Miss Amelia Evans, eine starke und sehr selbstständige Frau. Das Haus mit dem Laden hat sie von ihrem Vater geerbt, dazu eine Whiskybrennerei. Sie wird geachtet, obwohl der Umgang mit Menschen nicht ihre Stärke ist. Das ändert, als eines Tages ein buckliger Mann in der Stadt auftaucht und behauptet, ihr Vetter Lymon zu sein. Sie nimmt ihn bei sich auf, bewirtet ihn und beginnt, sich
Zuschauerreaktion
zu wandeln. War es früher verboten, im Laden Whisky zu trinken, stehen plötzlich Tische bereit. Sie bietet günstiges Essen an und wird immer umgänglicher. So kommt zum Laden ein Café, das mangels anderer Vergnügungsmöglichkeiten alsbald zum Treffpunkt der Bevölkerung wird. Diese verfolgt die Wandlung der Miss Amelia mit Verwunderung. Vetter Lymon wird Teil ihres Lebens, aus welchem Grund auch immer.
Ein dunkler Punkt
Doch es gibt einen Punkt in Miss Amelias Vergangenheit, den alle in der Stadt kennen, über den jedoch nicht gesprochen wird: ihre Heirat mit dem Tunichtgut Marvin Macy vor Jahren. Sie hat ihn in der Hochzeitsnacht dermassen gedemütigt, dass er nach zehn Tagen das Weite suchte, nicht ohne anzukündigen, zurück-zukehren und sich zu rächen. Nach sieben Jahren Zuchthaus kehrt Macy in seine Heimatstadt zurück. Vetter Lymon ist fasziniert von ihm. Derweilen wächst der Hass zwischen Miss Amelia und Macy von Tag zu Tag und mündet schliesslich in einem handfesten Showdown nach Westernmanier. Lymon wendet sich von Amelia ab und schlägt sich auf die Seite von Macy. Zusammen verlassen die beiden die Stadt, nicht ohne zuvor noch das Café und die Whiskybrennerei verwüstet zu haben. Miss Amelia zieht sich zurück, schliesst das Café und den Laden und vernagelt die Fenster ihres Hauses.
Am Freitagabend wohnte Klaus Henner Russius der Vorstellung bei. Er hat das Stück als Regisseur in Szene gesetzt. Seine Antwort auf die Frage, ob er die Aufführung besuche, um zu kontrollieren, ob das Stück getreu seinem Regiekonzept aufgeführt wird, lautete: «Ich besuche die Vorstellung in erster Linie aus Liebe zu den Darstellern. Selbstverständlich achte ich darauf, ob sich keine Nachlässigkeiten eingeschlichen haben. Ich habe nichts festgestellt. Es war dies die erste Vorstellung nach einer viermonatigen Pause, und ich bin begeistert, wie präzis das Stück auch heute wieder auf die Bühne gebracht wurde.»
Zuschauer aus dem Häuschen
Nicht minder begeistert waren die Zuschauer im ausverkauften Theater am Freitagabend. Die Tragik der Figuren und der Handlung sei unter die Haut gegangen, lautete der Tenor. Der herzliche Applaus galt dem ganzen Ensemble, allen voran Cornelia Montani als Miss Amelia und Joe Fenner als der Bucklige.
Kristian Trafelt verkörperte den Bösewicht Marvin Macy und dessen rechtschaffenen Bruder Henry, während Daniel Schneider als angeberischer Besserwisser für einige Lacher sorgte. Mit der Ankündigung, das Stück sei nicht heiter aber spannend wie ein Krimi hat das Kulturtreff-Team voll ins Schwarze getroffen.
RUEDI MUFFLER



Schaffhauser Nachrichten Montag, 13. November 2017
Haberhaus Bühne Zum Artikelverzeichnis
Ein Kammerspiel voller seelischer Grausamkeiten
Das Original, schon 1951 erschienen, ist ein literarisches Kammerspiel. In ihrer «Ballade am traurigen Café» thematisiert die amerikanische Autorin Carson McCullers (1917 bis 1967) das Thema Liebe. Besser: die Unfähigkeit, Liebe zu erwidern und Liebe zu empfangen. McCullers galt seit ihrem phänomenalen Erstling «Das Herz ist ein einsamer Jäger» als düsteres Wunderkind der amerikanischen Literatur. Und die «Ballade» enthält alle Ingredienzien, um diesen Ruf zu festigen.
Um drei Personen dreht sich alles, beziehungsweise um deren seelische Interaktionen, und im Hintergrund passend der antike griechische (Tragödien-)Chor, repräsentiert in diesem Fall durch die Bewohner einer trostlosen Kleinstadt des amerikanischen Südens. Da ist die Ladenbesitzerin Amelie, die völlig überraschend den Ortscasanova heiratet, sich ihm dann allerdings entzieht und ihn zehn Tage nach der Hochzeit aus dem Haus treibt.
Die Tragik: Zum ersten Mal hat es der Mann ernst gemeint, zum ersten Mal hat er wirklich geliebt - und die Zurückweisung treibt ihn zurück in eine fragwürdige, schliesslich in eine kriminelle Existenz.
Ein Kampf um Liebe
Amelie indes erfährt dieselbe seelische Grausamkeit: Als ein missgestalteter Vetter von ihr auftaucht, ist sie es, die ihn umsorgt und umhegt - um schliesslich so «verraten» zu werden, wie sie es selbst getan hat. Denn als der Ehemann nach einer langen Zuchthausstrafe wieder auftaucht, schliesst sich ihm der Vetter an, als hätte es Amelies Sorgsamkeit (und Liebe) nicht gegeben, und macht gemeinsame Sache mit dem rachedürstenden Mann. Zuvor hat der Vetter den Aufschwung des von Amelie eingerichteten Cafés bewirkt - das Bild eines allerdings fragwürdigen Glücks. Denn am Schluss, ein Bild wie im klassischen ameri-kanischen Western, kumuliert das Geschehen in einem - ringkämpferischen - Duell; es ist symbolhaft das Ringen um Liebe. Die Frau verliert, weil der Vetter sich auf die Seite des Mannes schlägt.
McCullers' Ballade ist beseelt von Melancholie, der Trauer um die Unmöglichkeit von Glück und Liebe, aber auch einer stillen, schicksalergebenen Heiterkeit. Diese komplexe Beschaffenheit auf die Bühne zu bringen, ist gleichermassen ein Wagnis wie ein gestalterischer Kraftakt. Cornelia Montani (Spiel, Musik und Mundartbearbeitung), Joe Fenner, Daniel Schneider und Kristian Trafelet unter der Regie von Klaus Henner Russius haben das in Form des «musikalischen Erzähltheaters» gewagt - und eine kongeniale Form zur Sprachmeisterschaft der geschriebenen Ballade gefunden.
Traurig und schön
Zu bewundern war dies am Freitagabend auf der Haberhaus Bühne, und siehe da, die McCullers'sche Erzähl-weise aufersteht in geschickt transformierter Weise: Dem spartanischen Duktus des Originals setzt das Quartett eine sparsame Gestik gegenüber, die erzählerischen Elemente, nur von sparsam verwendetem Dialog unterbrochen, wollen nur eins: erzählen. Und die die Novelle wie Adaption durchdringende Atmosphäre von Melancholie und Trostlosigkeit schafft auf die Bühne die Musik; sie wird damit zu einem tragenden Element der Aufführung, keineswegs nur zum Hintergrundgeschehen oder zur «Untermalung».
Und so geschah es, dass die Ballade vom kleinen Café im Haberhaus zu einem bewegenden, intensiven Erlebnis wurde. Traurig und schön. Schrecklich und doch auch mit dem Trost, der das Leben erträglich macht.
JÖRG RISER



Affoltener Anzeiger Freitag, 11. Nov. 2016
Die Ballade vom traurigen Café Zum Artikelverzeichnis
Musikalisches Erzähltheater in der Buchhandlung Scheidegger
Gastgeber waren KulturAffoltern und die Buchhandlung Scheidegger. Gäste die Schauspieler und Musiker Cornelia Montani, Joe Fenner, Daniel Schneider und Kristian Trafelet. Gespielt wurde ein Stück nach Carson McCullers und Edward Albee in einer Mundartfassung von Joe Fenner und Cornelia Montani.
Geschichten kann man ganz unterschiedlich erzählen. Bei traurigen Geschichten muss man eine passende Form wählen, sonst rutschen sie ins Sentimentale ab. Wie bringt man Zuschauende eines Theaterstücks dazu, Traurigkeit zu fühlen? Emotionen löst man am besten mit Musik aus. Dies schaffte das Quartett Cornelia Montani, Joe Fenner, Daniel Schneider und Kristian Trafelet am vergangenen Samstag hervorragend. Sie vermittelten Stimmungen in feinen Nuancen - und machten das Publikum betroffen.
Aufs Wesentliche beschränkt
Der Lagerraum der Buchhandlung liegt völlig im Dunkeln. Vier Schauspieler nehmen Platz. Eine Mundhar-monika erklingt mit einem einzelnen, leisen Ton. Und schon sind sie da, die Gefühle, man spürt die Einsamkeit und die drückende Hitze. Die Klarinette fällt ein, leise Singstimmen. Die vier auf alten Kisten und rostigen Tonnen sitzenden Schauspieler in Kleidern der amerikanischen Südstaatenfarmer beginnen zu sprechen. Sie erzählen die traurige Geschichte von Miss Amelia, beginnend am Schluss. Sie zeichnen das Bild eines Städtchens mit einer Baumwollfabrik, das mal bessere Zeiten gesehen hat. Mittendrin ein Haus mit verbarrikadierten Fenstern. Nur wenn die Hitze zu gross wird, öffnet sich ein Fenster und graue, schielende Augen schauen in die Weite. Das traurige Ende der Amelia.
Aussenseiter in einer Dreiecksgeschichte
Amelia war von klein auf Aussenseiterin. Sie betreibt einen Laden und braut Whisky. Ihr buckliger Vetter Lymon taucht auf, nistet sich ein und wird von Amelia nach Strich und Faden verwöhnt. Er weckt Wärme und Weichheit bei der robusten Amelia und das Café wird zu einem Treffpunkt, wo man sich im Winter aufwärmt und im Sommer fröhliche Feste feiert.
Was Lymon aber nicht weiss; Amelia war einige Tage mit einem Mann verheiratet, der in die Kriminalität abrutschte, nachde Amelia ihn nicht wirklich als «Ehemann» behandelt hatte. Er kehrt zurück, Lymon wendet sich ihm zu und wird völlig abhängig. Beide zerstören Amelias Welt und verschwinden. So weit die Dreiecksgeschichte von drei Aussenseitern. Aussenseiter sind ein dominantes Thema bei den Werken der 1917 geborenen amerikanischen Schriftstellerin Carson McCullers.

Ballade vom traurigen Café Cornelia Montani als Amelia verfällt dem buckligen Lymon, gespielt von Joe Fenner (links). Klarinettist Daniel Schneider (rechts) versteht es, mit seinem Instrument die unterschiedlichsten Gefühle auszulösen.
(Bild Regula Zellweger)
Musik berührt die Seele
Die vier Schauspieler sind Akteure und Geschichtenerzähler, spielen Live-Musik auf mehreren Instrumenten und singen - alles gleichzeitig, miteinander verwoben, und schaffen so eine oft beklemmende atmosphärische Dichte. Regisseur Klaus Henner Russius unterstreicht diese elementare Dichte, nichts ist überflüssig, nichts klamaukig.
Neid, Hass, Wut, Einsamkeit, Fröhlichkeit, Melancholie - alle diese Emotionen schwingen beim virtuosen Klarinettenspiel von Daniel Schneider mit. Die bluesnahe Musik verschlägt die Zuhörenden in die Südstaaten, die Themen und die damit verbundenen Gefühle aber sind allgegenwärtig, zu allen Zeiten und an allen Orten, wo Menschen je gelebt haben, aktuell leben oder je leben werden.
REGULA ZELLWEGER



Neue Zuger Zeitung Samstag, 5. März 2016
Als Miss Amelia erst spät die Liebe entdeckte Zum Artikelverzeichnis
ZUG «Die Ballade vom traurigen Café» ist die tragische Geschichte einer Frau. Aussergewöhnlich ist die Art und Weise, wie sie erzählt wird.
Miss Amelia ist eine starke Frau. Stark ist auch ihr Whisky, den sie in ihrem Dorfladen verkauft. Als eines Tages ein buckliger Mann auftaucht, der sich als ihr Vetter Lymon ausgibt, verändert sich ihr Leben. Die unnahbare Miss Amelia nimmt den Buckligen bei sich auf und kümmert sich liebevoll um ihn. Die Dorfbewohner sind verblüfft. Mit seinem unbekümmerten Wesen gelingt es dem Buckligen, Miss Amelia zu verführen. Sie blüht auf. Der Dorfladen wird zum Café und schliesslich zum warmen Treffpunkt des Ortes.
Schattenseite der Liebe
So fröhlich beginnt «Die Ballade vom traurigen Café». Geschrieben hat die Geschichte die amerikanische Autorin Carson McCullers vor 60 Jahren. Vorgestern Donnerstag erlebte das Publikum im Burgbachkeller die Schattenseiten der Liebe kennen.
Die vier Protagonisten sitzen im Halbkreis. Das Bühnenbild ist so rau wie die Stimmung von Miss Amelia, die nach einer unglücklichen Ehe völlig verbittert, bis Vetter Lymon bei ihr anklopft.


«Man muss dem anderen im richtigen
Moment das ‹Trampolin bereitstellen›.»

JOE FENNER, DER BUCKLIGE

Immer wieder brechen die Schauspieler aus dem Erzählen aus und schlüpfen in die Rolle der Hauptfiguren. Das ist die Besonderheit dieser Gruppe, die in ähnlichen Formationen schon oft zusammen aufgetreten ist. Dies sei anspruchsvoll, sagt Joe Fenner, der den Buckligen spielt. Man müsse dem anderen im richtigen Augenblick das «Trampolin bereitstellen», damit dieser den roten Faden übernehmen könne. Die vielen Übergänge wirken leicht und natürlich. Als Miss Amelias Ex-Mann Marvin Macey in das Dorf zurückkehrt, breitet sich eine bedrohliche Stimmung aus. Die nahende Gewitterfront simulieren die Künstler mit Trommelwirbel auf einem alten Fass.
Ballade vom traurigen Café
Sie verbinden Musik mit Theater.
Bild Fabian Gubser
Die vier Schauspieler sind gleichzeitig Musiker. Dorftrottel Ryan stimmt mit seiner Klarinette immer wieder frohe und melancholische Melodien an. So schnell wie die Gitarre von Marvin Macey ein Stück beginnt, so schnell verklingt die Melodie mit einem letzten seufzenden Ton aus der Mundharmonika von Miss Amelia. «Mich fasziniert das Verweben von Text und Musik», sagt Daniel Schneider im anschliessenden Gespräch. Er spielt Ryan und fühlt sich beim Erzählen oft an ein Streichquartett erinnert.
Intime Stimmung
«Diese Bühnen-Grösse ist ideal, darauf können wir uns ausbreiten», schwärmt Cornelia Montani. Sie spielt Miss Amelia und freut sich an diesem Abend über das Publikum. Aufmerksam verfolgt es, wie Miss Amelia schliesslich in ein katastrophales Dilemma gerät, als ihr Ex-Mann Marvin Macey (Kristian Trafelet) gemeinsame Sache mit Vetter Lymon macht. Nach eineinviertel Stunden schenken die Zuschauer den Künstlern einen grosszügigen Applaus. Die hohen Erwartungen, die vor der Aufführung im Foyer diskutiert wurden, konnten offenbar erfüllt werden. Die Inszenierung des Regisseurs Klaus Henner gelingt. Durch den gekonnten Einsatz von unterschiedlichen Stilmitteln erzeugt das Quartett eine intime Stimmung, in der man jeden Moment geniesst.
FABIAN GUBSER



St. Galler Tagblatt Freitag, 26. Februar 2016
Zartbitter schmeckt die Liebe Zum Artikelverzeichnis
Carson McCullers’ «Ballade vom traurigen Café» ist in der Kellerbühne als musikalisches Erzähltheater zu sehen – sparsam, einfühlsam, schwebend leicht.
ST.GALLEN. Eine Südstaatennest, eine Baumwollspinnerei, eine schäbige Hauptstrasse, eine starke Frau, die ihr Haus mit Brettern zunagelt – der Stoff für eine tragikomische Liebesgeschichte. Carson McCullers hat sie geschrieben, Edward Albee hat daraus ein Theaterstück gemacht. Die Kellerbühne zeigt «Die Ballade vom traurigen Café» in einer Mundartfassung von Cornelia Montani und Joe Fenner.
Sie halten sich eng an den Text und gehen doch frei mit ihm um. Reduzieren die Figuren, gewichten Erzählung und Dialoge neu, unterlegen das Spiel mit bluesigen Klängen und Liedern.
Muskeln wie ein Mann
Die Geschichte, in Rückblenden erzählt, handelt von der Liebe und von den Sehnsüchten dreier exzentrischer Figuren. Miss Amelia (Cornelia Montani), hochgewachsen und mit Muskeln wie ein Mann, führt den Krämerladen ihres Vaters weiter. Aus dem Nichts taucht ein buckliger Zwerg auf, ihr Vetter Lymon (Joe Fenner). Sie nimmt ihn auf, umsorgt ihn, und der geltungssüchtige Kerl macht aus ihrem Laden ein florierendes Lokal.
Die ganze Stadt trifft sich da und trinkt Miss Amelias Whisky. Das Café wird zum Herzen der Stadt, in der die Sommer glühen und die Winter eisig sind, das Café weckt die Stadt aus ihrem Schlaf. Doch dann wird Miss Amelia von ihrer Vergangenheit eingeholt. Marvin Macy (Kristian Trafelet) kehrt zurück.
Zehn Tage verheiratet
Sie hatte den Bad Boy der Stadt mit dreissig geheiratet und sich ihm in der Hochzeitsnacht verweigert. Nach zehn Tagen Ehe gab er auf und wurde endgültig zum Verbrecher. Jetzt verlässt er das Zuchthaus mit seiner Gitarre, macht sich in Amelias Haus breit. Und findet einen Verbündeten für seine Rache.
Regisseur Klaus Henner Russius dämpft den Showdown der Geschichte herab, den Boxkampf zwischen Marvin und Miss Amelia. Schwebend leicht bleibt die Inszenierung neben dem melancholischen Moll, das aus Daniel Schneiders Klarinette steigt.
Leidenschaft und Leid
Von der Liebe handelt letztlich Carson McCullers’ Kurzroman. Wir wollen «eher Liebende als Geliebte sein», sagt die Autorin. Die Liebe ist nicht nur Leidenschaft, sie ist auch Leiden und Qual. Und derart verändern sich die Beziehungen zwischen den drei Hauptfiguren. Äusserst virtuos und einfühlsam geht Russius mit all den Nuancen um.
Dann nagelt Miss Amelia ihr Haus zu, dann singen die vier das Lied der Kettensträflinge.
Ballade vom traurigen Café
Boxkampf im traurigen Café: Miss Amalia gegen Marvin Macy.
(Bild: Ralph Ribi)
DIETER LANGHART



P.S. Freitag, 29. Januar 2016
Melancholie Zum Artikelverzeichnis
Die menschlichen Abgründe in «Die Ballade vom traurigen Café» von Carson McCullers und Edward Albee sind tief und einzig unerfreulich, was Klaus Henner Russius dazu nutzt, sie in eine zarte Melancholie zu hüllen.
Die musikalische Erzählstruktur in der Dialektfassung von Cornelia Montani und Joe Fenner gibt das Träge der Hitze wie auch das Schleppende der Ereignisarmut in diesem Städtchen nahezu physisch erlebbar wieder. Dazu kommt eine alles verbindende melancholische Grundstimmung, die den meisten emotionalen Ausreissern der Figuren als Nivellierung dient. Denn deprimieren soll diese szenische Nacherzählung keineswegs. Wenn sie denn aber so partout auch nicht erfreulich sein will, benötigt es Massnahmen, die einen in eine Art Verrücktheit oder Trancezustand zu versetzen vermögen. Im wilden Westen gilt das Recht des Stärkeren. Das kann durchaus die Drugstore-Betreiberin Miss Amelia (Cornelia Montani) sein, die von ihren bisherigen Lebenserfahrungen emotional hart geworden ist und vornehmlich herrisch, launisch und knausrig agiert. Als ein buckliger Fremder (Joe Fenner) auftaucht, verkehrt sich ihre Abneigung allem gegenüber in eine übersteigerte, also vollumfängliche Hingabe dem Buckligen gegenüber. Mit zunehmender Geselligkeit der Gemeinschaft gegenüber beginnt auch das Geschäft zu erblühen, während ein verschmähter Gatte seit Jahren auf Rache sinnt und mit dieser veränderten Ausgangslage die Möglichkeit sieht, die Gunst der Stunde für seine Zwecke zu nutzen. Im Kampf gegen den weitherum gefürchteten Bräutigam (Kristian Trafelet), zu dem die Verbindung gerade mal zehn Tage dauerte, fällt Miss Amalia in alte Muster zurück, was es den beiden Männern sichtlich vereinfacht, sich in der Rache für ein beschädigtes Ego zu verbrüdern und gemeinsam gegen Miss Amelia vorzugehen. Hinterrücks, verlogen und unfair, versteht sich. Das Erstaunen der restlichen Dorfbevölkerung ist über die erste Veränderung von Amelia nicht geringer als über die zweite – die feige Distanziertheit demgegenüber ebenso wenig. Dem Grundton in Moll begegnet Regisseur Klaus Henner Russius mit grosser Sorgfalt und einem sicheren Händchen für virtuose Melodik, was einer zarten Melancholie gleichkommt, die einen sanft umarmt.
froh



Aargauer Zeitung Donnerstag, 14. Januar 2016
Im «traurigen Café» bleibt Liebe unerfüllt Zum Artikelverzeichnis
Die Premiere des musikalischen Erzähltheaters «DieBallade vom traurigen Café» im ThiK begeisterte dasPublikum.
Die Einöde des Südstaaten-Kaffs, das Schauplatz für «Die Ballade vom traurigen Café» ist, wird auf der Bühne des ThiKs, Theater im Kornhaus, nur mit drei verwitterten Brettern dargestellt. Die ganze Szenerie vermittelt Hitze und Einsamkeit. Cornelia Montani, Joe Fenner, Daniel Schneider und Kristian Trafelet sitzen in Farmerkluft auf rostigen Tonnen und alten Holzkisten. Man spürt, dass die Vier innerlich hoch konzentriert sind. Denn sie werden in ihrer Mundart-Version der tragischen Dreiecksbeziehung von Miss Amalia, ihrem Ehemann Marvin Macy und dem buckligen, zwergwüchsigen Vetter Lymon gleichzeitig Akteure und Geschichtenerzähler sein, dazu Live-Musik auf mehreren Instrumenten machen und singen. Das Verweben der verschiedenen Elemente zu einer manchmal geradezu beklemmenden atmosphärischen Dichte gelingt ihnen schon bei der Premiere absolut hervorragend. Dabei verzichten sie in der spröden optischen Umsetzung ihres musikalischen Erzähltheaters unter der Regie von Klaus Henner Russius auf jeglichen Schnickschnack.
Carson McCullers Novelle «Die Ballade vom traurigen Café» gehört zu den Klassikern der amerikanischen Literatur. Die Schriftstellerin (1917 bis 1967) beschäftigte sich immer wieder mit dem tragischen Schicksal kontaktarmer Aussenseiter. Und deren vergeblicher Suche nach Liebe. So führt die eigenbrötlerische Miss Amelia mit sturer Unerbittlichkeit den Laden ihres verstorbenen Vaters weiter und brennt illegal Whiskey. Sie heiratet einen Mann, der sie vergöttert, vollzieht die Ehe mit ihm aber nie. Der Verschmähte, selber ein dreister Frauenheld, wird kriminell und landet im Zuchthaus. Dort schwört er Vergeltung. Amelia schenkt ihre Zuneigung und ihr Vertrauen wiederum einem zwergwüchsigen Mann, der ihre Gefühle missbraucht. Doch sie blüht für kurze Zeit auf.
Katastrophe ist vorprogrammiert
Amelia eröffnet ein Café, wo sich die ganze Stadt trifft. In der trostlosen Abgeschiedenheit scheint so etwas wie Menschlichkeit aufzukeimen. Doch sie ist von kurzer Dauer. Immer mehr gewinnen Wut, Neid und Hass Oberhand. Die Katastrophe ist vorprogrammiert. Am Ende liegt alles, was kurze Zeit Seele des Städtchens gewesen war, in Trümmern. Begleitet wird diese Zerstörung durch bluesgeschwängerte Musik. «Die Ballade vom traurigen Café» spielt zwar in den Südstaaten der USA, beleuchtet aber Lebensthemen, die alle betreffen: menschliche Unzulänglichkeiten, unerfüllte Liebe und Andersartigkeit. «Ich will in meinem Theaterproduktionen Schicksale erzählen, die Menschen berühren, weil sie darin ein Stück ihrer eigenen Geschichte erkennen», sagt die in Winterthur lebende Montani dazu.
URSULA BURGHERR