Cornelia Montani glänzte auf der Kreuz-Bühne als Pauline:
Eine starke Persönlichkeit meistert ihr hartes Schicksal.
Pauline spielte, erzählte und sang ihr Leben und Schicksal mit einer
Intensität und Präsenz, welche das Publikum von Anfang an ergriff und betroffen
machte. Selten ist es geworden, dass auf einer Kleinbühne Poesie entsteht.
Cornelia Montani gelang dies mit zarter Leichtigkeit.
Dichtgewobene Fantasie für einmal von oben betrachtet: Das Publikum nahm auf
der Tribüne Platz, die Schauspielerin Cornelia Montani trat auf dem blossen
Boden in Aktion. Das minimale Bühnenbild aus schwarzer Stofffläche, würfelförmigem
Metallrahmen und Holzstuhl fokussierte optimal auf die Darstellerin. Diese schlug
mit einer betörenden Präsenz die Zuschauerinnen und Zuhörer von Beginn weg in Bann.
Mit ihrer warmen und tragenden Stimme und dem natürlichen und feinen Spiel schuf
Pauline eine authentische und persönliche Atmosphäre. Darin eingehüllt enthüllt
sie sachte ihr Leben und Los. Meist ist sie sich selber, schlüpft aber gelegentlich
in die Rollen der wenigen Menschen, mit denen sie es in ihrem Leben zu tun bekommt.
Da gibt es einen einsilbigen Vater und eine allmählich verstummte Mutter, eine
kleine geliebte Schwester, die, weil behindert, in ein Heim gesteckt wird. Eine
geliebte Grossmutter und eine unerfüllte Liebschaft leben in der Fantasie Paulines
weiter und nehmen manchmal wieder Gestalt an.
Kombination von Stilen
Das subtile Licht der Scheinwerfer zeigt einen blossen Menschen in seiner Grösse
und in seiner Not. Allein mit Mimik, Gestik und ihrer Geschichte breitet Pauline
ihre ergreifende Lebensgeschichte aus. Mittels unterschiedlicher Stimmen und
verschiedener Sprachen präsentiert die Schauspielerin ein Puzzle, aus dem sich
nach und nach Paulines Vita zusammensetzt. Die Geschichte hält sich nicht an eine
Chronologie, sondern wird fragmentarisch in vielen Episoden erzählt, wobei sich
Pauline dramaturgisch geschickt eingesetzter Rückblenden bedient. Wirklichkeit
und Fantasie wechseln so gut wie Musik und Spiel. Ihr Akkordeon verwendet sie
musikalisch-musikantisch, die Stimmung geht von temperamentvoll bis melancholisch.
Das fulminante Kombinieren von erzählen, schauspielern und musizieren lässt beim
Publikum Bilder im Kopf entstehen, die sich zu einem Film zusammensetzen.
Pauline alias Cornelia Montani schafft es, eine diffizile Lebensgeschichte
mit vielen Höhen und Tiefen auf eine überzeugende Weise aufzulösen. Grosse
Menschlichkeit, Empathie und die Welt der kindlichen Magie berührten und
beeindruckten das Publikum.
JÜRG KÜBLI
Mit der Sprache und dem Akkordeon erzählt Cornelia
Montani das triste Leben der glücklichen Pauline.
BRÜTTEN - Schon bald vergisst das Publikum, dass hier
Cornelia Montani in einer abendfüllenden Erzählung einen Roman mittlerer
Buchdicke, auswendig erzählt. Nein, sie erzählt sie nicht; sie durchlebt sie.
Mal versetzt sie sich in die Traumwelt von Pauline, mal fasst sie das
Geschehene - nüchtern wie ein Polizeirapport - zusammen. Pauline, die ihren
Namen vom Vater erhält, weil dieser sich einen Paul gewünscht hatte,
entspricht auch sonst nicht den Erwartungen ihrer abgestumpften Eltern. So
werden am wachsenden Pflänzchen beharrlich alle zart spriessenden Zweiglein
abgeschnitten. Die Eltern entreissen Pauline alles, was die Seele zum Gedeihen
braucht: die Zuneigung der kleinen Schwester, das gütige Verständnis der
Grossmutter und ihre ersten grosse Liebe.
Als ob sie ihr Schicksal. geahnt hätte, beginnt sie
Schmetterlinge zu sammeln - Schmetterlinge im Bauch. Sie arrangiert
Begebenheiten, die dieses seltsame Kribbeln im Bauch erzeugen. Zumeist begibt
sie sich freiwillig in peinliche, beschämende Situationen: Sie bettelt einem
Fremden seine Wurst ab oder gafft schamlos durch die Fenster des Wagenabteils
eines Zugs. Über diese sogenannten Mutproben und das damit erzeugte Körpergefühl
führt sie peinlichst Buch. Die Seele wächst nach innen; Pauline ist allen
Widerwärtigkeiten zum Trotz, glücklich bis ins hohe Alter.
Dieses Märchen einer anscheinend glücklichen Frau befremdet
zu keinem Zeitpunkt des Erzählablaufs. Wo Montani das Mädchen spielt, sind
Mimik, Gestik und Tanz glaubhaft. Wo sie aus Distanz erzählt, schwingt immer
der vorwurfsvolle Unterton mit: «Was solls? - Es ist Paulines Leben; ihr (die
Zuhörer) müsst mit diesem Leben nicht glücklich werden.» Und irgendwann wächst
im Verlaufe der Erzählung ein Einverständnis zwischen Erzählerin und Publikum
heran: Dieses vermeintlich triste Leben ist lebenswert.
Vom Wesen der Sprache
Die Geschichte, die durch Vor- und Rückblenden immer im
gleichen Zeitpunkt verharrt, erhält damit eine innere Entwicklung - genau wie
Paulines Leben. Zur nachvollziehbaren Glaubhaftigkeit tragen nicht zuletzt die
unverkennbaren Texte und Vertonungen von Res Wepfer («Pfannestiil Chammersexdeet»)
bei. Wepfer ist ein Dialektkünstler. Er kann in einem schweizerdeutschen
Ausdruck oder einer Redewendung verharren, ihn drehen und wenden; nicht als
sprachliche Spielerei, sondern mit dem Ziel, auf den Kern der Bedeutung oder
aber auch zur Erkenntnis vorzustossen, die dem Ausgangsobjekt fremd sind. Diese
Lieder sind auch Pauline. Wenn die Schmetterlinge schon nicht durch Liebe zum Flattern gebracht
werden können, so müssen sie durch andere Ereignisse aufgescheucht werden.
BERNHARD STRÄSSLE
Pauline erzählt ihr Leben - von der Kindheit, als sie noch
Paula hiess, bis ins Alter, wo sie im Quartier als das Fräulein mit den roten
Schuhen bekannt ist. Allerdings erzählt Pauline nicht alleine. Auf der Bühne
des Luzerner Kleintheaters kommen auch ihre Eltern, Schwester und Grossmutter
zu Wort. Eine Erzählerin sorgt für den roten Faden im Fluss der Geschichte.
Vielseitige Schauspielerin
Alle Figuren werden von Cornelia Montani gespielt. Die
vielseitige Schauspielerin schlüpft ohne Tenüwechsel von einer Rolle in die
andere. Sie spielt den autoritären Vater am Steuer, die schimpfende Mutter, die
zurückgebliebene, kleine Schwester; aber auch den genervten sizilianischen Bocciaspieler
oder die Walliser Grossmutter, die sich noch aus dem Himmel vernehmen lässt.
Dazu singt und tanzt Cornelia Montani und begleitet sich, selbst auf der
Handorgel.
«Pauline» ist das erste Soloprogramm der Schauspielerin,
die früher im Tandem Tinta Blu auftrat. Sie schrieb den Text und die Musik zu
diesem Einfraustück, das die Luzerner Regisseurin Annette Windlin klar und
aufs Wesentliche konzentriert in Szene setzte.
Keine heitere Geschichte
Die Geschichte von Pauline ist keine heitere. Vom realen
Leben mit Verlust, enttäuschter Liebe, elterlichem Unverständnis und Trennung
gebeutelt, verstummt das Kind und flüchtet sich in eine Fantasiewelt, in der
sie Trost und Glück findet. Eine Welt, in der kindliche Magie und hoffendes
Staunen bis ins hohe Alter erhalten bleiben. «Pauline» bietet kein Spektakel,
dafür viel Herz und Schmerz, mit ergreifenden Liedern, poetischem Text und mal
übermütiger, mal misstöniger Musik. Cornelia Montani interpretiert ihre
Rollen authentisch und mit viel Gefühl, verfällt nicht in romantisierenden
Kitsch. Poesie, Magie und träumerische Fantasie prägen ihr Spiel und das
gesamte Stück.
KURT BECK
Cornelia Montani berührt das Publikum im ThiK
in Baden mit der Geschichte von Pauline. Sie erzählt von einem Mädchen,
das Grenzen überschreitet.
Pauline trägt rote Schuhe. Sie hat zwei falsche Cousinen
und sammelt Schmetterlinge, aber nicht so, wie man denkt: Pauline sucht Erlebnisse,
bei denen sie ein Kribbeln fühlt. «Schmetterlinge im Bauch», nennt sie das.
«Schmetterlinge» sind zum Beispiel ihre erste Liebe, ein schüchterner
Sizilianer, aber auch Missgeschicke, ein Tritt in einen Hundedreck. Pauline
sammelt alle Schmetterlinge, nicht nur die schönen.
Cornelia Montani hat die Figur der «Pauline» erfunden und
erzählt ihre Geschichte nun im ThiK (Theater im Kornhaus) in Baden. Mit nur
zwei Requisiten, einem Holzstuhl sowie ihrem Akkordeon, und in einem minimalen
Bühnenbild spielt sie Paulines Lebensgeschichte. Mit einer unglaublich facettenreichen
und kraftvollen Stimme singt sie die zusammen mit Res Wepfer geschriebenen
Lieder. Erzählt, wie Paulines kleine Schwester von den Eltern in ein Heim abgeschoben
wird und Pauline sie so sehr vermisst, dass sie sie in ihrer Welt immer dabei
hat. Man erfährt, dass andere Kinder sie auslachen, weil sie laut mit jemandem
spricht, der gar nicht da ist. Montani spielt Pauline, wie sie in den Ferien
per Autostopp nach Sizilien fährt, ganz allein, und dort den schüchternen
Sizilianer kennen lernt. Und vor allem, wie sie aus den Grenzen, die ihr die
strengen Eltern setzen, heraustritt. Ein bisschen erinnert das Mädchen mit
seiner Fantasie und seiner eigenen, besonderen kleinen Welt an Amelie aus dem
französischen Kinofilm. Doch wird Pauline feiner, vielseitiger und
authentischer dargestellt.
DIE GESCHICHTE VON PAULA, wie die Titelfigur
eigentlich heisst, wird nicht chronologisch erzählt, stellenweise muss man sich
als Zuschauer plötzlich neu zurechtfinden. Vieles bleibt geheimnisvoll und
ungelöst. Doch Montani spielt die verschiedenen Rollen so glaubwürdig, dass
man sich in sie hineinversetzen kann und mitlebt. Mit ihrer enormen
Bühnenpräsenz und dem energiegeladenen Spiel begeisterte sie am Freitag das
Premierenpublikum von der ersten bis zur letzten Minute. Zuerst geriet man ins
Staunen, dann ins Lachen, etwa wenn Montani sich als Bocciaspieler in
temperamentvollen italienischen Wortschwällen ergiesst. Und wie wohl jede
Kindheit ist auch die von Pauline manchmal traurig. Wo sonst aber die Emotionen
und Gedanken von Kindern in Film, Theater und Literatur oft aufgesetzt wirken,
überzeugt «Pauline» völlig. Die Geschichte berührt.
EVELYNE BAUMBERGER
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