Die «Ballade vom traurigen Café» erzählten mit Worten und Musik (von links):
Joe Fenner (Lymon), Cornelia Montani (Amelia), Daniel Schneider (Besserwisser)
und Kristian Trafelet (Marvin Macy).
(Foto kbb)
Die Kleine Bühne ermöglichte den Einblick in die «Ballade vom traurigen Café».
Die Umsetzung der gleichnamigen Novelle der amerikanischen Schriftstellerin
Carson McCullers sei kein heiteres Stück, steht im Programm. Die Mundartfassung
von Cornelia Montani und Joe Fenner macht daraus eher einen Krimi mit schwarzem
Humor.
Anfänglich herrschte Finsternis und Stille auf der Bühne.
Vereinzelt waren pfeifende Töne wie Stossseufzer aus einer
Mundharmonika zu hören, ergänzt durch kurze Einlagen aus Klarinette
und Gitarre, unverkennbar im drängenden Rhythmus des Blues. Und
schon ist die Einsamkeit und drückende Hitze zu spüren. Die vier
auf alten Kisten und rostigen Tonnen sitzenden Personen in Kleidern
der amerikanischen Südstaatenfarmer beginnen zu sprechen. Sie
erzählen die traurige Geschichte von Miss Amelia und beginnen
dabei mit dem Schluss. Die Fenster ihres Hauses sind mit Brettern
vernagelt. Nur wenn die Hitze zu gross wird, öffnet sich ein Fenster.
Im Verlauf der pausenlosen Aufführung entsteht eine Art musikalisches
Erzähltheater, eine Mischung aus Erzählung, Spiel und Musik, alles
in hoher Qualität und lückenloser Inszenierung.
Kampf um Liebe und Vertrauen
Schauplatz ist eine heruntergekommene, trostlose Kleinstadt im tiefsten
Süden der USA mit staubigen Häusern, einer Baumwollfabrik und einer
unbedeutenden Mainstreet. An dieser liegt auch der Store von Miss Amelia
Evans (Cornelia Montani), eine starke und sehr selbstständige Frau. Das
Haus mit dem Laden hat sie von ihrem Vater geerbt, dazu eine Whiskybrennerei.
Sie wird geachtet, obwohl der Umgang mit Menschen nicht ihre Stärke ist.
Das ändert, als eines Tages ein buckliger Mann (Joe Fenner) in der Stadt
auftaucht und behauptet, ihr Vetter Lymon zu sein. Sie nimmt ihn bei sich
auf, bewirtet ihn und beginnt, sich zu wandeln. War es früher verboten,
im Laden Whisky zu trinken, stehen nun plötzlich Tische bereit. Sie bietet
günstiges Essen an und wird immer umgänglicher. So kommt zum Laden ein Café
hinzu, das bald zum Treffpunkt der Bevölkerung wird, die sich wundert über
die Veränderung von Miss Amelia. Es gibt nämlich in ihrem Leben einen wunden
Punkt, der immer noch an ihr haftet, alle im Ort ausser Lymon kennen aber
nicht darüber sprechen: Ihre Heirat mit dem Tunichtgut Marvin Macy vor
einigen Jahren. Sie hat ihn in der Hochzeitsnacht dermassen gedemütigt,
dass er nach zehn Tagen davonläuft, nicht ohne anzukündigen, er werde
zurückzukehren und sich zu rächen. Die Tragik: Zum ersten Mal hat es ein
Mann ernst gemeint mit der Liebe – die Abweisung treibt ihn zurück in eine
unsichere, schliesslich kriminelle Existenz. Amelia erfährt eine ähnliche
seelische Grausamkeit: Ihr missgestalteter Vetter, den sie umsorgt und umhegt
und der ihr geholfen hat, das Café in Schwung zu bringen, schlägt sich auf
die Seite von Marvin Macy, der nach sieben Jahren Zuchthaus in seine Heimatstadt
zurückgekehrt ist. Vetter Lymon ist fasziniert von ihm. Unterdessen wächst
der Hass zwischen Miss Amelia und Marvin Macy von Tag zu Tag und mündet
schliesslich in einem handfesten Showdown der beiden mit einem Ringkampf nach
Westernmanier. Amelia verliert, Lymon wendet sich von ihr ab und sympathisiert
mit Marvin Macy. Zusammen verlassen die beiden die Stadt, nicht ohne zuvor noch
das Café und die Whiskybrennerei verwüstet zu haben. Miss Amelia zieht sich
zurück, schliesst das Café und den Laden und vernagelt das Haus.
Berührende Einlagen
Das Stück lebt von den schlagfertigen Dialogen, von Rede und Gegenrede und davon,
wie schrittweise unangenehme Wahrheiten und Verhaltensmuster entblösst werden.
Gestik und Mimik werden sparsam, aber umso treffsicherer eingesetzt.
Eine tragende Rolle spielen die eingestreuten Musikbeispiele. Sie malen nicht
bloss die jeweils zu zutreffenden Stimmungsbilder aus, sondern auch die typische
Mentalität in den amerikanischen Südstaaten. Das «Musikalische Erzähltheater»
wurde seinem Namen in jeder Beziehung gerecht. Die Tragik der Figuren und der
Handlung gingen unter die Haut.
KURT BUCHMÜLLER
Kurier Dietlikon |
Freitag, 13. April 2018 |
Spannender und unterhaltsamer als ein Tatort im Fernsehen |
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|
Musikalisches Erzähltheater im Dietliker Kulturtreff
Drei Schauspieler, die auch Musiker sind, ein schauspielernder Musiker und eine
spannende Story ergeben einen Theaterabend, den man nicht so schnell vergisst wie einen Tatortkrimi.
So geschehen am vergangenen Freitag und Samstag in Dietlikon.
Die Männer der Stadt als Voyeure anlässlich der Hochzeitsnacht von Miss Amelia und Marvin Macy (von links):
Joe Fenner, Daniel Schneider und Kristian Trafelet. Cornelia Montani untermalt die groteske Szene musikalisch.
(Foto rm)
Das war keine Kleinkunst, das war grosses Theater, was am vergangenen
Wochenende im Dietliker Kulturtreff zu sehen war. Diese Feststellung
ist keineswegs despektierlich gemeint gegenüber der Kleinkunst,
die im Untergeschoss des Alexander Bertea-Dorftreffs seit
bald zehn Jahren ihren Platz hat. Damit soll vielmehr die Produktion
«Die Ballade vom traurigen Café» ins rechte Licht gerückt werden.
Ein literarisches Meisterwerk
Das Stück ist die dramatische Umsetzung der gleichnamigen Novelle
der amerikanischen Schriftstellerin Carson McCullers durch Edward
Albee. In Dietlikon kam die Mundartfassung von Cornelia Montani
und Joe Fenner zur Aufführung. Montani und Fenner waren auch
die Protagonisten des Stücks. Ihnen zur Seite standen Kristian Trafelet
und Daniel Schneider, der mit seiner Klarinette für die stimmungsvolle,
mal melancholische, mal beschwingte musikalische Umrahmung
des Stücks sorgte. Dabei wurde er von Montani an der
Mundharmonika, Trafelet an der Gitarre und Fenner an der Melodica
unterstützt. Auch mit mehrstimmigem Gesang wussten das Quartett
zu überzeugen.
«Die Ballade vom traurigen Café» wurde angekündigt als musikalisches
Erzähltheater, eine Mischung aus Erzählung, Spiel und Musik.
Die Darsteller wirkten sowohl als Erzähler als auch als handelnde Figuren.
Schauplatz der Geschichte ist eine heruntergekommene Kleinstadt
im Süden der USA. Bei der emotionslosen Beschreibung der
Stadt mit ihrer unbedeutenden Hauptstrasse, der Baumwollfabrik
und den staubigen Häusern, über denen eine unerträgliche Hitze lastet,
liess die Szenerie vor dem geistigen Auge erscheinen als sähe man
einen Film.
Im Mittelpunkt des Geschehens steht Miss Amelia Evans, eine starke
und sehr selbstständige Frau. Das Haus mit dem Laden hat sie
von ihrem Vater geerbt, dazu eine Whiskybrennerei. Sie wird geachtet,
obwohl der Umgang mit Menschen nicht ihre Stärke ist. Das ändert,
als eines Tages ein buckliger Mann in der Stadt auftaucht und behauptet,
ihr Vetter Lymon zu sein. Sie nimmt ihn bei sich auf, bewirtet ihn
und beginnt, sich
zu wandeln. War es früher verboten,
im Laden Whisky zu trinken, stehen plötzlich Tische bereit. Sie bietet
günstiges Essen an und wird immer umgänglicher. So kommt
zum Laden ein Café, das mangels anderer Vergnügungsmöglichkeiten
alsbald zum Treffpunkt der Bevölkerung wird. Diese verfolgt die
Wandlung der Miss Amelia mit Verwunderung. Vetter Lymon wird
Teil ihres Lebens, aus welchem Grund auch immer.
Ein dunkler Punkt
Doch es gibt einen Punkt in Miss Amelias Vergangenheit, den alle in
der Stadt kennen, über den jedoch nicht gesprochen wird: ihre Heirat
mit dem Tunichtgut Marvin Macy vor Jahren. Sie hat ihn in der Hochzeitsnacht
dermassen gedemütigt, dass er nach zehn Tagen das Weite
suchte, nicht ohne anzukündigen, zurück-zukehren und sich zu rächen.
Nach sieben Jahren Zuchthaus kehrt Macy in seine Heimatstadt
zurück. Vetter Lymon ist fasziniert von ihm. Derweilen wächst
der Hass zwischen Miss Amelia und Macy von Tag zu Tag und mündet
schliesslich in einem handfesten Showdown nach Westernmanier. Lymon
wendet sich von Amelia ab und schlägt sich auf
die Seite von Macy. Zusammen verlassen die beiden die Stadt,
nicht ohne zuvor noch das Café und die Whiskybrennerei verwüstet zu
haben. Miss Amelia zieht sich zurück, schliesst das Café und den
Laden und vernagelt die Fenster ihres Hauses.
Am Freitagabend wohnte Klaus Henner Russius der Vorstellung
bei. Er hat das Stück als Regisseur in Szene gesetzt. Seine Antwort
auf die Frage, ob er die Aufführung besuche, um zu kontrollieren, ob
das Stück getreu seinem Regiekonzept aufgeführt wird, lautete: «Ich
besuche die Vorstellung in erster Linie aus Liebe zu den Darstellern.
Selbstverständlich achte ich darauf, ob sich keine Nachlässigkeiten
eingeschlichen haben. Ich habe nichts festgestellt. Es war dies die
erste Vorstellung nach einer viermonatigen Pause, und ich bin begeistert,
wie präzis das Stück auch heute wieder auf die Bühne gebracht wurde.»
Zuschauer aus dem Häuschen
Nicht minder begeistert waren die Zuschauer im ausverkauften Theater
am Freitagabend. Die Tragik der Figuren und der Handlung sei
unter die Haut gegangen, lautete der Tenor. Der herzliche Applaus
galt dem ganzen Ensemble, allen voran Cornelia Montani als Miss
Amelia und Joe Fenner als der Bucklige.
Kristian Trafelt verkörperte den Bösewicht Marvin Macy und dessen
rechtschaffenen Bruder Henry, während Daniel Schneider als angeberischer
Besserwisser für einige Lacher sorgte. Mit der Ankündigung,
das Stück sei nicht heiter aber spannend wie ein Krimi hat
das Kulturtreff-Team voll ins Schwarze getroffen.
RUEDI MUFFLER
Ein Kammerspiel voller seelischer Grausamkeiten
Das Original, schon 1951 erschienen, ist ein literarisches Kammerspiel. In ihrer «Ballade
am traurigen Café» thematisiert die amerikanische Autorin Carson McCullers (1917 bis 1967)
das Thema Liebe. Besser: die Unfähigkeit, Liebe zu erwidern und Liebe zu empfangen.
McCullers galt seit ihrem phänomenalen Erstling «Das Herz ist ein einsamer Jäger»
als düsteres Wunderkind der amerikanischen Literatur. Und die «Ballade» enthält alle
Ingredienzien, um diesen Ruf zu festigen.
Um drei Personen dreht sich alles, beziehungsweise um deren seelische Interaktionen,
und im Hintergrund passend der antike griechische (Tragödien-)Chor, repräsentiert in
diesem Fall durch die Bewohner einer trostlosen Kleinstadt des amerikanischen Südens.
Da ist die Ladenbesitzerin Amelie, die völlig überraschend den Ortscasanova heiratet,
sich ihm dann allerdings entzieht und ihn zehn Tage nach der Hochzeit aus dem Haus treibt.
Die Tragik: Zum ersten Mal hat es der Mann ernst gemeint, zum ersten Mal hat er wirklich
geliebt - und die Zurückweisung treibt ihn zurück in eine fragwürdige, schliesslich in
eine kriminelle Existenz.
Ein Kampf um Liebe
Amelie indes erfährt dieselbe seelische Grausamkeit: Als ein missgestalteter Vetter von
ihr auftaucht, ist sie es, die ihn umsorgt und umhegt - um schliesslich so «verraten» zu
werden, wie sie es selbst getan hat. Denn als der Ehemann nach einer langen Zuchthausstrafe
wieder auftaucht, schliesst sich ihm der Vetter an, als hätte es Amelies Sorgsamkeit
(und Liebe) nicht gegeben, und macht gemeinsame Sache mit dem rachedürstenden Mann.
Zuvor hat der Vetter den Aufschwung des von Amelie eingerichteten Cafés bewirkt - das Bild
eines allerdings fragwürdigen Glücks. Denn am Schluss, ein Bild wie im klassischen
ameri-kanischen Western, kumuliert das Geschehen in einem - ringkämpferischen - Duell; es
ist symbolhaft das Ringen um Liebe. Die Frau verliert, weil der Vetter sich auf die Seite
des Mannes schlägt.
McCullers' Ballade ist beseelt von Melancholie, der Trauer um die Unmöglichkeit von Glück
und Liebe, aber auch einer stillen, schicksalergebenen Heiterkeit. Diese komplexe
Beschaffenheit auf die Bühne zu bringen, ist gleichermassen ein Wagnis wie ein gestalterischer
Kraftakt. Cornelia Montani (Spiel, Musik und Mundartbearbeitung), Joe Fenner, Daniel Schneider
und Kristian Trafelet unter der Regie von Klaus Henner Russius haben das in Form des
«musikalischen Erzähltheaters» gewagt - und eine kongeniale Form zur Sprachmeisterschaft
der geschriebenen Ballade gefunden.
Traurig und schön
Zu bewundern war dies am Freitagabend auf der Haberhaus Bühne, und siehe da, die McCullers'sche
Erzähl-weise aufersteht in geschickt transformierter Weise: Dem spartanischen Duktus des
Originals setzt das Quartett eine sparsame Gestik gegenüber, die erzählerischen Elemente,
nur von sparsam verwendetem Dialog unterbrochen, wollen nur eins: erzählen. Und die die
Novelle wie Adaption durchdringende Atmosphäre von Melancholie und Trostlosigkeit schafft
auf die Bühne die Musik; sie wird damit zu einem tragenden Element der Aufführung, keineswegs
nur zum Hintergrundgeschehen oder zur «Untermalung».
Und so geschah es, dass die Ballade vom kleinen Café im Haberhaus zu einem bewegenden, intensiven
Erlebnis wurde. Traurig und schön. Schrecklich und doch auch mit dem Trost, der das Leben
erträglich macht.
JÖRG RISER
Musikalisches Erzähltheater in der Buchhandlung Scheidegger
Gastgeber waren KulturAffoltern und die Buchhandlung Scheidegger.
Gäste die Schauspieler und Musiker Cornelia Montani, Joe Fenner, Daniel Schneider
und Kristian Trafelet. Gespielt wurde ein Stück nach Carson McCullers
und Edward Albee in einer Mundartfassung von Joe Fenner und Cornelia Montani.
Geschichten kann man ganz unterschiedlich erzählen. Bei traurigen
Geschichten muss man eine passende Form wählen, sonst rutschen sie ins
Sentimentale ab. Wie bringt man Zuschauende eines Theaterstücks dazu,
Traurigkeit zu fühlen? Emotionen löst man am besten mit Musik aus.
Dies schaffte das Quartett Cornelia Montani, Joe Fenner,
Daniel Schneider und Kristian Trafelet am vergangenen Samstag hervorragend.
Sie vermittelten Stimmungen in feinen Nuancen - und machten das Publikum betroffen.
Aufs Wesentliche beschränkt
Der Lagerraum der Buchhandlung liegt völlig im Dunkeln. Vier Schauspieler
nehmen Platz. Eine Mundhar-monika erklingt mit einem einzelnen,
leisen Ton. Und schon sind sie da, die Gefühle, man spürt die Einsamkeit
und die drückende Hitze. Die Klarinette fällt ein, leise Singstimmen.
Die vier auf alten Kisten und rostigen Tonnen sitzenden Schauspieler
in Kleidern der amerikanischen Südstaatenfarmer beginnen zu sprechen.
Sie erzählen die traurige Geschichte von Miss Amelia, beginnend am Schluss.
Sie zeichnen das Bild eines Städtchens mit einer Baumwollfabrik, das mal
bessere Zeiten gesehen hat. Mittendrin ein Haus mit verbarrikadierten Fenstern.
Nur wenn die Hitze zu gross wird, öffnet sich ein Fenster und graue, schielende
Augen schauen in die Weite. Das traurige Ende der Amelia.
Aussenseiter in einer Dreiecksgeschichte
Amelia war von klein auf Aussenseiterin. Sie betreibt einen Laden und braut Whisky.
Ihr buckliger Vetter Lymon taucht auf, nistet sich ein und wird von Amelia
nach Strich und Faden verwöhnt. Er weckt Wärme und Weichheit bei der robusten
Amelia und das Café wird zu einem Treffpunkt, wo man sich im Winter aufwärmt
und im Sommer fröhliche Feste feiert.
Was Lymon aber nicht weiss; Amelia war einige Tage mit einem Mann verheiratet,
der in die Kriminalität abrutschte, nachde Amelia ihn nicht wirklich als «Ehemann»
behandelt hatte. Er kehrt zurück, Lymon wendet sich ihm zu und wird völlig abhängig.
Beide zerstören Amelias Welt und verschwinden. So weit die Dreiecksgeschichte
von drei Aussenseitern. Aussenseiter sind ein dominantes Thema bei den Werken
der 1917 geborenen amerikanischen Schriftstellerin Carson McCullers.
Cornelia Montani als Amelia verfällt dem buckligen Lymon,
gespielt von Joe Fenner (links).
Klarinettist Daniel Schneider (rechts) versteht es, mit
seinem Instrument die unterschiedlichsten Gefühle auszulösen.
(Bild Regula Zellweger)
Musik berührt die Seele
Die vier Schauspieler sind Akteure und Geschichtenerzähler, spielen Live-Musik
auf mehreren Instrumenten und singen - alles gleichzeitig, miteinander verwoben,
und schaffen so eine oft beklemmende atmosphärische Dichte.
Regisseur Klaus Henner Russius unterstreicht diese elementare Dichte,
nichts ist überflüssig, nichts klamaukig.
Neid, Hass, Wut, Einsamkeit, Fröhlichkeit, Melancholie - alle diese Emotionen
schwingen beim virtuosen Klarinettenspiel von Daniel Schneider mit.
Die bluesnahe Musik verschlägt die Zuhörenden in die Südstaaten, die Themen
und die damit verbundenen Gefühle aber sind allgegenwärtig, zu allen Zeiten
und an allen Orten, wo Menschen je gelebt haben, aktuell leben oder je leben werden.
REGULA ZELLWEGER
ZUG
«Die Ballade vom traurigen Café» ist die tragische Geschichte einer Frau.
Aussergewöhnlich ist die Art und Weise, wie sie erzählt wird.
Miss Amelia ist eine starke Frau. Stark ist auch ihr Whisky, den sie in ihrem
Dorfladen verkauft. Als eines Tages ein buckliger Mann auftaucht, der sich als ihr
Vetter Lymon ausgibt, verändert sich ihr Leben. Die unnahbare Miss Amelia nimmt
den Buckligen bei sich auf und kümmert sich liebevoll um ihn. Die Dorfbewohner
sind verblüfft. Mit seinem unbekümmerten Wesen gelingt es dem Buckligen, Miss
Amelia zu verführen. Sie blüht auf. Der Dorfladen wird zum Café und schliesslich
zum warmen Treffpunkt des Ortes.
Schattenseite der Liebe
So fröhlich beginnt «Die Ballade vom traurigen Café». Geschrieben hat die
Geschichte die amerikanische Autorin Carson McCullers vor 60 Jahren. Vorgestern
Donnerstag erlebte das Publikum im Burgbachkeller die Schattenseiten
der Liebe kennen.
Die vier Protagonisten sitzen im Halbkreis. Das Bühnenbild ist so rau
wie die Stimmung von Miss Amelia, die nach einer unglücklichen Ehe völlig
verbittert, bis Vetter Lymon bei ihr anklopft.
«Man muss dem anderen im richtigen
Moment das ‹Trampolin bereitstellen›.»
JOE FENNER, DER BUCKLIGE
Immer wieder brechen die
Schauspieler aus dem Erzählen aus und schlüpfen in die Rolle der Hauptfiguren.
Das ist die Besonderheit dieser Gruppe, die in ähnlichen Formationen
schon oft zusammen aufgetreten ist. Dies sei anspruchsvoll, sagt Joe Fenner,
der den Buckligen spielt. Man müsse dem anderen im richtigen Augenblick
das «Trampolin bereitstellen», damit dieser den roten Faden übernehmen
könne. Die vielen Übergänge wirken leicht und natürlich. Als Miss Amelias
Ex-Mann Marvin Macey in das Dorf zurückkehrt, breitet sich eine bedrohliche
Stimmung aus. Die nahende Gewitterfront simulieren die Künstler mit
Trommelwirbel auf einem alten Fass.
Sie verbinden Musik mit Theater. Bild Fabian Gubser
Die vier Schauspieler sind gleichzeitig Musiker. Dorftrottel Ryan stimmt mit
seiner Klarinette immer wieder frohe und melancholische Melodien an. So
schnell wie die Gitarre von Marvin Macey ein Stück beginnt, so schnell
verklingt die Melodie mit einem letzten seufzenden Ton aus der Mundharmonika
von Miss Amelia. «Mich fasziniert das Verweben von Text und Musik»,
sagt Daniel Schneider im anschliessenden Gespräch. Er spielt Ryan und fühlt
sich beim Erzählen oft an ein Streichquartett erinnert.
Intime Stimmung
«Diese Bühnen-Grösse ist ideal, darauf können wir uns ausbreiten», schwärmt
Cornelia Montani. Sie spielt Miss Amelia und freut sich an diesem Abend über
das Publikum. Aufmerksam verfolgt es, wie Miss Amelia schliesslich in ein katastrophales
Dilemma gerät, als ihr Ex-Mann Marvin Macey (Kristian Trafelet)
gemeinsame Sache mit Vetter Lymon macht. Nach eineinviertel Stunden
schenken die Zuschauer den Künstlern einen grosszügigen Applaus. Die hohen
Erwartungen, die vor der Aufführung im Foyer diskutiert wurden, konnten offenbar
erfüllt werden. Die Inszenierung des Regisseurs Klaus Henner gelingt. Durch
den gekonnten Einsatz von unterschiedlichen Stilmitteln erzeugt das Quartett
eine intime Stimmung, in der man jeden Moment geniesst.
FABIAN GUBSER
Carson McCullers’ «Ballade vom traurigen Café» ist in der Kellerbühne als
musikalisches Erzähltheater zu sehen – sparsam, einfühlsam, schwebend leicht.
ST.GALLEN.
Eine Südstaatennest, eine Baumwollspinnerei, eine schäbige Hauptstrasse,
eine starke Frau, die ihr Haus mit Brettern zunagelt – der Stoff für eine tragikomische
Liebesgeschichte. Carson McCullers hat sie geschrieben, Edward Albee hat daraus
ein Theaterstück gemacht. Die Kellerbühne zeigt «Die Ballade vom traurigen Café» in einer
Mundartfassung von Cornelia Montani und Joe Fenner.
Sie halten sich eng an den Text und gehen doch frei mit ihm um. Reduzieren die
Figuren, gewichten Erzählung und Dialoge neu, unterlegen das Spiel mit bluesigen
Klängen und Liedern.
Muskeln wie ein Mann
Die Geschichte, in Rückblenden erzählt, handelt von der Liebe und von den Sehnsüchten
dreier exzentrischer Figuren. Miss Amelia (Cornelia Montani), hochgewachsen und mit
Muskeln wie ein Mann, führt den Krämerladen ihres Vaters weiter.
Aus dem Nichts taucht ein buckliger Zwerg auf, ihr Vetter Lymon (Joe Fenner). Sie nimmt
ihn auf, umsorgt ihn, und der geltungssüchtige Kerl macht aus ihrem Laden ein
florierendes Lokal.
Die ganze Stadt trifft sich da und trinkt Miss Amelias Whisky. Das Café wird zum Herzen
der Stadt, in der die Sommer glühen und die Winter eisig sind, das Café weckt die
Stadt aus ihrem Schlaf. Doch dann wird Miss Amelia von ihrer Vergangenheit eingeholt.
Marvin Macy (Kristian Trafelet) kehrt zurück.
Zehn Tage verheiratet
Sie hatte den Bad Boy der Stadt mit dreissig geheiratet und sich ihm in der
Hochzeitsnacht verweigert. Nach zehn Tagen Ehe gab er auf und wurde endgültig
zum Verbrecher. Jetzt verlässt er das Zuchthaus mit seiner Gitarre, macht sich in
Amelias Haus breit. Und findet einen Verbündeten für seine Rache.
Regisseur Klaus Henner Russius dämpft den Showdown der Geschichte herab, den
Boxkampf zwischen Marvin und Miss Amelia. Schwebend leicht bleibt die Inszenierung
neben dem melancholischen Moll, das aus Daniel Schneiders Klarinette steigt.
Leidenschaft und Leid
Von der Liebe handelt letztlich Carson McCullers’ Kurzroman. Wir wollen «eher
Liebende als Geliebte sein», sagt die Autorin. Die Liebe ist nicht nur Leidenschaft,
sie ist auch Leiden und Qual. Und derart verändern sich die Beziehungen zwischen den
drei Hauptfiguren. Äusserst virtuos und einfühlsam geht Russius mit all den Nuancen um.
Dann nagelt Miss Amelia ihr Haus zu, dann singen die vier das Lied der Kettensträflinge.
Boxkampf im traurigen Café: Miss Amalia gegen Marvin Macy.
(Bild: Ralph Ribi)
DIETER LANGHART
Die menschlichen Abgründe in «Die Ballade vom traurigen Café» von Carson McCullers
und Edward Albee sind tief und einzig unerfreulich, was Klaus Henner Russius
dazu nutzt, sie in eine zarte Melancholie zu hüllen.
Die musikalische Erzählstruktur in der Dialektfassung von Cornelia Montani und
Joe Fenner gibt das Träge der Hitze wie auch das Schleppende der Ereignisarmut
in diesem Städtchen nahezu physisch erlebbar wieder. Dazu kommt eine alles
verbindende melancholische Grundstimmung, die den meisten emotionalen Ausreissern
der Figuren als Nivellierung dient. Denn deprimieren soll diese szenische
Nacherzählung keineswegs. Wenn sie denn aber so partout auch nicht erfreulich
sein will, benötigt es Massnahmen, die einen in eine Art Verrücktheit oder
Trancezustand zu versetzen vermögen. Im wilden Westen gilt das Recht des
Stärkeren. Das kann durchaus die Drugstore-Betreiberin Miss Amelia
(Cornelia Montani) sein, die von ihren bisherigen Lebenserfahrungen emotional
hart geworden ist und vornehmlich herrisch, launisch und knausrig agiert. Als
ein buckliger Fremder (Joe Fenner) auftaucht, verkehrt sich ihre Abneigung
allem gegenüber in eine übersteigerte, also vollumfängliche Hingabe dem
Buckligen gegenüber. Mit zunehmender Geselligkeit der Gemeinschaft gegenüber
beginnt auch das Geschäft zu erblühen, während ein verschmähter Gatte seit
Jahren auf Rache sinnt und mit dieser veränderten Ausgangslage die Möglichkeit
sieht, die Gunst der Stunde für seine Zwecke zu nutzen. Im Kampf gegen den
weitherum gefürchteten Bräutigam (Kristian Trafelet), zu dem die Verbindung
gerade mal zehn Tage dauerte, fällt Miss Amalia in alte Muster zurück, was
es den beiden Männern sichtlich vereinfacht, sich in der Rache für ein
beschädigtes Ego zu verbrüdern und gemeinsam gegen Miss Amelia vorzugehen.
Hinterrücks, verlogen und unfair, versteht sich. Das Erstaunen der restlichen
Dorfbevölkerung ist über die erste Veränderung von Amelia nicht geringer
als über die zweite – die feige Distanziertheit demgegenüber ebenso wenig.
Dem Grundton in Moll begegnet Regisseur Klaus Henner Russius mit grosser
Sorgfalt und einem sicheren Händchen für virtuose Melodik, was einer
zarten Melancholie gleichkommt, die einen sanft umarmt.
froh
Aargauer Zeitung |
Donnerstag, 14. Januar 2016 |
Im «traurigen Café» bleibt Liebe unerfüllt |
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Die Premiere des musikalischen Erzähltheaters «DieBallade vom traurigen Café»
im ThiK begeisterte dasPublikum.
Die Einöde des Südstaaten-Kaffs, das Schauplatz für «Die Ballade vom traurigen Café»
ist, wird auf der Bühne des ThiKs, Theater im Kornhaus, nur mit drei verwitterten
Brettern dargestellt. Die ganze Szenerie vermittelt Hitze und Einsamkeit. Cornelia
Montani, Joe Fenner, Daniel Schneider und Kristian Trafelet sitzen in Farmerkluft
auf rostigen Tonnen und alten Holzkisten. Man spürt, dass die Vier innerlich hoch
konzentriert sind. Denn sie werden in ihrer Mundart-Version der tragischen
Dreiecksbeziehung von Miss Amalia, ihrem Ehemann Marvin Macy und dem buckligen,
zwergwüchsigen Vetter Lymon gleichzeitig Akteure und Geschichtenerzähler sein,
dazu Live-Musik auf mehreren Instrumenten machen und singen. Das Verweben der
verschiedenen Elemente zu einer manchmal geradezu beklemmenden atmosphärischen
Dichte gelingt ihnen schon bei der Premiere absolut hervorragend. Dabei verzichten
sie in der spröden optischen Umsetzung ihres musikalischen Erzähltheaters unter
der Regie von Klaus Henner Russius auf jeglichen Schnickschnack.
Carson McCullers Novelle «Die Ballade vom traurigen Café» gehört zu den Klassikern
der amerikanischen Literatur. Die Schriftstellerin (1917 bis 1967) beschäftigte
sich immer wieder mit dem tragischen Schicksal kontaktarmer Aussenseiter. Und
deren vergeblicher Suche nach Liebe. So führt die eigenbrötlerische Miss Amelia
mit sturer Unerbittlichkeit den Laden ihres verstorbenen Vaters weiter und brennt
illegal Whiskey. Sie heiratet einen Mann, der sie vergöttert, vollzieht die Ehe
mit ihm aber nie. Der Verschmähte, selber ein dreister Frauenheld, wird kriminell
und landet im Zuchthaus. Dort schwört er Vergeltung. Amelia schenkt ihre Zuneigung
und ihr Vertrauen wiederum einem zwergwüchsigen Mann, der ihre Gefühle missbraucht.
Doch sie blüht für kurze Zeit auf.
Katastrophe ist vorprogrammiert
Amelia eröffnet ein Café, wo sich die ganze Stadt trifft. In der trostlosen
Abgeschiedenheit scheint so etwas wie Menschlichkeit aufzukeimen. Doch sie ist
von kurzer Dauer. Immer mehr gewinnen Wut, Neid und Hass Oberhand. Die Katastrophe
ist vorprogrammiert. Am Ende liegt alles, was kurze Zeit Seele des Städtchens
gewesen war, in Trümmern. Begleitet wird diese Zerstörung durch bluesgeschwängerte
Musik. «Die Ballade vom traurigen Café» spielt zwar in den Südstaaten der USA,
beleuchtet aber Lebensthemen, die alle betreffen: menschliche Unzulänglichkeiten,
unerfüllte Liebe und Andersartigkeit. «Ich will in meinem Theaterproduktionen
Schicksale erzählen, die Menschen berühren, weil sie darin ein Stück ihrer eigenen
Geschichte erkennen», sagt die in Winterthur lebende Montani dazu.
URSULA BURGHERR
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